360 Grad Aufnahmen und Postproduktion - Videojournalistin Jennifer Heck

360 Grad Inhalte

Emotionale Zeitreise in 360 Grad

Brille auf und herzlich Willkommen! Plötzlich steht der User als Gefangener mitten im berüchtigten Stasiknast in Berlin-Hohenschönhausen. Ein Wärter blickt tief in die Augen, brüllt los: Gesicht zur Wand! Das 360 Grad Erlebnis ist intensiv, scheint erschreckend real. Nicht anhand einer konkreten Geschichte, sondern durch die Erzählung der alltäglichen Wirklichkeit lernt der Nutzer DDR-Geschichte kennen.  
Quelle: Youtube – Michael Ginsburg, Martin Heller, Christiane Wittebecher

Herausforderungen am Anfang

Inspiriert von diesem Film habe ich mich zusammen mit Kollegen dem Strukturwandel in der Lausitz gewidmet. Dieser steht beispielhaft für viele Regionen Deutschlands und Europas. Positive Assoziationen wie Arbeit stehen dem Verlust von Heimat gegenüber. Der Erfolg von fossilen Brennstoffen trifft auf den Klimawandel und seine Folgen. Aus unseren Recherchen ergeben sich fünf Hauptthemen:
  • Arbeit im Tagebau
  • Folgen für Natur und Mensch
  • technische Innovation und Forschung
  • Umsiedlung
  • Tourismus und Renaturierung
Beim Dreh erkennen wir Unterschiede. Die Kamera ist kleiner, unscheinbarer, leichter zu tragen. Aber sie sieht alles. Beim Interview heißt das: Aufnahme starten, Frage stellen, wegrennen und verstecken. Was der Protagonist erzählt, hören wir manchmal überhaupt nicht. Wir erzählen eine gute Geschichte, aber brauchen auch viel räumliches Vorstellungsvermögen. Die Recherche bleibt nahezu gleich. Wie immer arbeiten wir mit hoher Genauigkeit und kritischer Quellenwahl. Aber viele Infos fallen später hinten runter – für das Bild.
 

Fiktionale Geschichten mit 360 Grad-Kameras

Wir filmen mit einem Würfel aus sechs einzelnen Kameras. Am PC werden die einzelnen Aufnahmen schließlich zusammengerechnet. Die Trennlinie zwischen den Aufnahmen – die Stitchline – darf nicht sichbar sein. Daher müssen schon bei der Aufnahme die einzelnen Bilder ähnlich beleuchtet sein. Ferner darf sich kein Gegenstand genau auf der Trennlinie befinden. Problem: Es fehlt ein Display zur Kontrolle. Es zählen allein die Kenntnisse der Technik, räumliches Vorstellungsvermögen und Augenmaß.
Um den Zuschauer zu fesseln, soll er zusätzlich durch einen fiktionalen Teil persönlich angesprochen werden. Schauspieler Andreas Stadler ist mal der Kollege aus dem Tagebau, mal Umweltschützer an der braunen Spree, mal Anwohner beim Sport. Die Inszenierung ist auch für ihn eine Herausforderung. Normalerweise gibt der Regisseur Anweisungen und Verbesserungsvorschläge. Er nimmt den Schauspieler bei seiner Arbeit sozusagen an die Hand. Vor der 360 Grad Kamera ist er plötzlich auf sich allein gestellt. Dann heißt es „Klappe, die Erste!“ und das Team versteckt sich. Von der schauspielerischen Leistung selbst bekommt es nur ein bisschen Ton mit. Am Ende entsteht der 360 Grad Film „Auf heißen Kohlen“.

Einsatz im journalistischen Alltag

Die Nachbearbeitung dauert. Deshalb eignet sich das Storytelling mithilfe von 360 Grad Kameras für tagesaktuelle Themen nur bedingt. Insbesondere bei lohnenswerten Bildern finde ich einen Einsatz sinnvoll. Dann kann der Zuschauer zum Beispiel hautnah bei einer Demonstration dabei sein oder ein neu eröffnetes Gebäude besichtigen. In meiner Arbeit verwende ich anstatt der aufwändigen Omni-Variante mit sechs GoPros eine Samsung Kamera mit einer lichtstarken F2.0-Linse. Diese liefert im Moment meiner Meinung nach den besten Kosten-Nutzen-Faktor. Der geringe Verlust der Qualität ist meines Erachtens zu verschmerzen. Immerhin sprechen wir von einer Kritik auf hohem Niveau. Samsung Gear 360 Aufnahmen haben eine Auflösung von 4k Ultra HD. Um die Schönheit der Natur darzustellen, lohnt sich meines Erachtens dennoch der Einsatz der Omni-Variante. Dieser ist teurer und erheblich aufwendiger, genügt aber eben auch höheren ästhetischen Ansprüchen.

Meine Mitarbeit am Film

Das Thema Geisterdorf hatte es mir gleich angetan. In Alt-Haidemühl wachsen Bäume aus Ruinen und Vögel krächzen in verwahrlosten Gärten: Seit elf Jahren verfällt das Dorf. Seine Bewohner mussten dem Lausitzer Tagebau weichen – sie wurden umgesiedelt. Ein früherer Bewohner besucht sein kaputtes Zuhause (gedreht mit der Samsung Gear 360, die ich auch in meinem Repertoire habe):

Das alte Haidemühl:

Das neue Haidemühl:

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18 Monate war ich ein Volo-Schwamm, habe alles aufgesaugt, was möglich ist: Drehen mit 360 Grad-Kamera, verschlüsselt Mails schreiben, berichten aus dem ARD-Hauptstadtstudio und dem Korribüro in Johannesburg, Challenge mit Heute Plus Redakteuren um konstruktiven Journalismus, Diskussionen mit Journalisten, Politikern und Militär in Israel und Palästina, Liveschalten, Fotoserien, VJ-Drehs, ... Um nur auf ein paar Wochen zurückzublicken. Es war eine anstrengende, aber sehr spannende und prägende Zeit, für die ich sehr dankbar bin. Das passt im Alltag eh nicht alles unter einen Hut?
Ich hab nen Sombrero!

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